Die Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Info-Chefin von ProSieben.Sat1.PULS4 spricht im Interview über das, was es für Gleichberechtigung wirklich braucht.
Die Medien- und Kommunikationsbranche des 21. Jahrhunderts ist immer noch ein hartes Pflaster – besonders für Frauen. Weil Vorurteile, Klischees und wenig Wertschätzung den steinigen Weg des Business prägen und selbst, wenn man vermeintlich ganz oben angekommen ist, ist „frau“ zumeist allein auf weiter Flur. Corinna Milborn, Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Info-Chefin von ProSieben.Sat1.PULS4 spricht im Interview über das, was es für Gleichberechtigung wirklich braucht.
Bereits im Juni 2018 sorgte ein Tweet von @corinnamilborn für Furore, online sowie offline: „Mann, Mann, Mann. So viel Typen, die ‚Sexismus! Genderwahn!! Quote Ungerecht!!!‘ schreien, nur weil ich mir vorgenommen habe, gleich viel Frauen wie Männern zu folgen. Leute. Ihr würdet keinen Tag überleben da draußen als Frau. Keinen Tag.“ Von manchen wurden diese 239 Zeichen als reine Provokation gesehen, von anderen händeklatschend gefeiert, eine Meinung dazu hatte nahezu jede und jeder. Die ist mutig, die traut sich was. Corinna Milborn spricht aus, was sich im Medienbusiness viele tagtäglich dachten – und auch heute noch denken. Der Wunsch nach mehr Gleichgewicht ist da: 80 Prozent der Befragten des GWPR Annual Index, einer Untersuchung der Initiative Global Women in PR 2020 glauben, dass Frauen in der Führungsetage die Arbeitsweise der PR-Branche verbessern, fast ebenso viele (79 %) sind der Meinung, sie erhöhen die Kreativität. Fast drei Viertel (72 Prozent) denken, Frauen im C-Level würden sich positiv auf die Produktivität auswirken. Neun von zehn (89 %) sind sich einig, dass mehr getan werden muss, um sicherzustellen, dass Frauen in der PR-Branche stärker an der Spitze vertreten sind – Tendenz steigend. Und dennoch:
Der Journalismus-Report 2020 des Medienhaus Wien dokumentiert, dass Redaktionen durchschnittlich zu 47 Prozent aus Frauen, zu 53 Prozent aus Männern bestehen – in leitenden Positionen sind zwei Drittel männlich. Warum?
Corinna Milborn: Die Antwort ist vielfältig: Klischees, Männernetzwerke, durch Familienarbeit unterbrochene Karrieren und Führungsjobs, die auf dem „Hausfrauenmodell“ aufbauen – nämlich darauf, dass die Führungsperson jemanden zu Hause hat, der den gesamten Rest des Lebens managed, von Kindern über Haushalt bis zum sozialen Leben. Das haben Frauen so gut wie nie, Männer immer noch oft. Eine einfache Methode, Frauen aus Führungsjobs zu drängen, sind daher z.B. Jour fixes am späten Freitagnachmittag, Wochenend-Socializing oder regelmäßige abendliche Saufrunden – ab dem Alter, in dem (Männer wie Frauen) Kinder bekommen, sind Frauen da seltener dabei. Die Lösung: Quoten.
Welche Klischees gegenüber Frauen sind in der Kommunikationssparte Alltag?
Corinna Milborn: Es gibt das Klischee, dass Frauen besser kommunizieren könnten, aber weniger durchsetzungskräftig seien. Das ist beides falsch. Trotzdem führt es dazu, dass Frauen zwar überdurchschnittlich in der Branche vertreten sind, aber unterdurchschnittlich oft Chefinnen oder Teilhaberinnen werden.
Was erschwert Ihren Alltag als erfolgreiche Frau in der Medienbranche?
Corinna Milborn: Inzwischen nicht mehr viel, auch wenn ich immer noch sehr viel Männergetuschel beobachte – besonders die informellen Beziehungen zwischen Macht und Journalismus sind stark von Männernetzwerken geprägt. Schwieriger als jetzt war es, als ich jünger war und immer darum kämpfen musste, nicht als „die junge Blonde“, sondern als Profi mit Expertise wahrgenommen zu werden. Ende 20, Anfang 30 war es vor allem bei Wirtschafts-Veranstaltungen noch oft so, dass ich in diesen Räumen voller Männer 50+ erstmal klarstellen musste, dass man bei mir keine Getränke bestellen kann.
In Ihrer Preisrede des „Wiener Journalistinnenpreis 2014“ sagten Sie „Man startet ja als junge Frau ins Berufsleben ohne das Bewusstsein für die enormen Unterschiede, die zwischen Frauen und Männern nach wie vor gemacht werden.“ – sehen Sie eine halbe Dekade später immer noch die gleichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern?
Corinna Milborn: Ja, es ist immer noch so. Ich habe damals über die erste große Schwelle gesprochen: Wenn es – um die 30 herum – plötzlich um Macht und um das Berufsleben als Mutter geht. Bis dahin denkt man, die Gleichstellung sei erledigt, doch dann schlagen die patriarchalen Strukturen zu und man merkt: Nichts ist erledigt. Jetzt – mit Ende 40 – wartet die nächste Schwelle: Bisher verschwanden Frauen über 50 aus der Öffentlichkeit, besonders aus dem Fernsehen. Wir sind nun die Generation, die sich zum zweiten Mal durchkämpfen und einen Weg freischlagen wird.
Was können Frauen gemeinsam dafür tun, um die Kommunikationsbranche besser zu machen?
Corinna Milborn: Niemals den Mund halten. Keinen einzigen sexistischen Witz durchgehen lassen. Dafür Allianzen aufbauen (vor allem auch mit Männern!). Für Kolleginnen kämpfen. In Führungspositionen nicht in die Falle tappen, dass es nur Platz für eine Frau gäbe und man den verteidigen müssen – sondern dafür kämpfen, dass es Platz für mehr Frauen gibt.
Was raten Sie der jungen, weiblichen Kommunikationsgeneration?
Corinna Milborn: Dasselbe wie vor zehn Jahren: Seid mutig, bleibt unbeugsam!
Über Corinna Milborn:
Die gebürtige Innsbruckerin arbeitete nach ihrem Studium als Menschenrechtsbeobachterin in Guatemala und WWF-Pressesprecherin, bevor sie ihre steile Journalismus-Karriere als Chefredakteurin bei liga startete. Ihr beruflicher Weg führte sie von der Politikredaktion bei Format zur Moderation des Club 2, ORF, bis zur stellvertretenden Chefredakteurin bei NEWS. Seit 2021 ist sie als Journalistin und Moderatorin bei PULS 4 und PULS 24, seit 2013 Informationsdirektorin bei ProSiebenSat1 PULS4.
Titelbild: (c) PULS24/Bernhard Eder