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Geschlechtervielfalt in Unternehmen? Inklusiv! Folge 1: Hintergründe & Begriffe

Trans, cis, inter*? Geschlecht ist auch in der Arbeitswelt vielfältig. Sich als Unternehmen zu öffnen, zeigt soziale Verantwortung.

Über Geschlecht wird viel diskutiert. Und doch bleibt ein wichtiger Faktor oft aus: seine Vielfalt. Wir gehen meist davon aus, dass es nur die zwei Geschlechter Mann und Frau gibt. Dabei hat der Verfassungsgerichtshof bereits 2018 anerkannt, dass wissenschaftlich nicht mehr von nur zwei Geschlechtern Mann und Frau ausgegangen werden kann. Wir können von einer Geschlechtervielfalt als alltäglicher Realität ausgehen: trans, inter* und nichtbinäre Menschen sind mitten unter uns. Was bedeutet das für Unternehmen? Wie kann sich ein Unternehmen respektvoll für Geschlechtervielfalt öffnen? Welche Rolle spielt dabei Kommunikation?

Auf diese und weitere Fragen wird in einem Set von Blogbeiträgen eingegangen. Starten wir mit wissenschaftlichen Hintergründen und wichtigen Begriffen.

Recht auf eine individuelle Geschlechtsidentität
Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (1) stützt sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse der letzten Jahre, aber auch auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der die Achtung des Privat- und Familienlebens gewährleistet. Darunter fallen auch der Schutz der menschlichen Persönlichkeit in ihrer Identität, Individualität und Integrität und somit die geschlechtliche Identität. Dieses Recht auf individuelle Geschlechtsidentität umfasst auch, dass Menschen nur jene Geschlechtszuschreibungen durch staatliche Regelung akzeptieren müssen, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen. Deshalb ermöglicht der Staat Österreich zusätzlich zu den Personenständen weiblich und männlich vier weitere Optionen für intergeschlechtliche Menschen (inter, divers, kein Eintrag und Eintrag streichen).

Das Wissen zu Geschlechtervielfalt ist nicht neu, geschlechtervielfältige Lebensweisen und Identitäten gibt es, soweit wir zurückforschen können. In der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert etwa entwickelt sich eine eigene Forschungsrichtung, die Sexualwissenschaften, die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt wissenschaftlich diskutiert. Schwule, lesbische, bisexuelle sowie trans, inter* und nichtbinäre Personen spielen dabei eine wichtige Rolle. Daraus sind in den letzten Jahrzehnten wichtige Forschungsrichtungen wie Trans Studies, Inter Studies oder Queer Studies entstanden. Bis heute geht es in den Diskussionen um Anerkennung und Selbstbestimmung, um das Recht auf ein menschenwürdiges Leben und um eine volle Partizipation am gesellschaftlichen Leben.

 

Hürden im Arbeitsleben
Ein Großteil des Lebens verbringen die meisten von uns in der Arbeit, also auch trans, inter* und nichtbinäre Menschen. Dabei haben sie mit vielen Hürden zu kämpfen, die cis und endogeschlechtliche Männer und Frauen nicht betreffen. Die erste Studie zur Situation von trans Personen am österreichischen Arbeitsmarkt 2008 (2)[i] zeigt verschiedene Hürden auf, mit denen z.B. trans Personen zu kämpfen haben: das betrifft den Bereich Arbeitssuche, Recruiting, Onboarding genauso wie räumliche Gegebenheiten und die Zusammenarbeit in Teams sowie der Kontakt mit Kund_innen. Gleichzeitig ist das Wissen zu Geschlechtervielfalt im Alltag gestiegen und auch Unternehmen wollen immer öfter trans, inter* und nichtbinäre Menschen respektvoll behandeln – aber wie? Ein erster wichtiger Schritt ist es, mehr über Geschlechtervielfalt zu erfahren. Beginnen wir mit den wichtigsten Begriffen.

 

Geschlechtervielfalt – Die wichtigsten Begriffe
Sprache spielt eine wichtige Rolle bei der Anerkennung und respektvollen Behandlung von Menschen. Da Geschlechtervielfalt noch immer oft – vor allem von der Medizin – als krankhaft gesehen wird, haben trans, inter* und nichtbinäre Menschen respektvollere Begriffe entwickelt. Die wichtigsten möchte ich Ihnen hier vorstellen:

 

Trans und Transgeschlechtlichkeit
Mit diesen beiden Begriffen sind alle Menschen, Lebensweisen und Identitäten gemeint, die sich von ihrem bei der Geburt aufgrund von körperlichen Merkmalen binär zugewiesenen Geschlecht Mann oder Frau „wegbewegen“. Trans Personen können binär als Frauen und Männer leben: Sie bewegen sich von der Geburtszuordnung als männlich zu Frauen bzw. von weiblich zu Männern. Trans Personen können aber auch vielfältiger leben: einige identifizieren sich einfach nicht mit dem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht (z.B. agender), andere bewegen sich innerhalb des Geschlechterspektrums hin und her (z.B. genderfluid). (3)[i] Bis vor kurzem galten trans Personen unter dem Begriff „Transsexualität“ als psychisch krank, die WHO hat dies im seit Jänner 2022 international gültigen ICD-11 korrigiert (4).[ii]

 

Inter* und Variationen der Geschlechtsmerkmale
Inter* oder intergeschlechtliche Menschen sind Menschen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale. Ihre Körper (beispielsweise die Genitalien, Chromosomen oder Hormone) entwickeln sich über die medizinische und gesellschaftliche Vorstellung von männlich oder weiblich hinaus (5).[iii] Variationen der Geschlechtsmerkmale sind ein Teil der körperlichen Diversität und keine Krankheit (auch wenn das manchmal so gesehen wird). In den Naturwissenschaften wird davon ausgegangen, dass bei ca. 2% der Geburten intergeschlechtliche Kinder auf die Welt kommen (6)[iv]. Oft werden Variationen der Geschlechtsmerkmale jedoch erst im Laufe des Lebens ersichtlich (etwa in der Pubertät, aber auch darüber hinaus).

 

Nichtbinär
Spätestens seit dem ESC-Gewinn von Nemo für die Schweiz 2024, stehen nichtbinäre Menschen wieder mehr im Fokus. Nichtbinär ist ein Überbegriff für alle Geschlechter und Nicht-Geschlechter, die weder ausschließlich weiblich noch ausschließlich männlich sind. Es gibt eine große Vielfalt an Identitäten und Lebensweisen, die über die binäre Vorstellung von Mann und Frau hinausgehen: z.B. agender, androgyn, oder genderqueer. Auch inter- und transgeschlechtliche Menschen können nichtbinär sein. Zusätzlich schließt dieser Begriff tw. nicht-westliche Geschlechtskonzepte wie Burrnesha, Feminielli, Fa’afafine mit ein (einen guten Einblick in die weltweite Vielfalt von Geschlechtern gibt die Map of Gender-diverse Cultures (7)[i]).

 

Cis, endogeschlechtlich und binär
Während es für Geschlechtervielfalt verschiedene Begriffe wie inter*, trans oder nichtbinär gibt, werden Männer und Frauen als die Norm angesehen. Um hier einen sprachlichen Ausgleich zu schaffen und auch die „Norm“ zu benennen, gibt es die Begriffe cis, endogeschlechtlich und binär.

Mit cis oder cisgeschlechtlich wird ausgedrückt, dass eine Person in dem Geschlecht lebt, dem sie bei der Geburt aufgrund der Genitalien zugewiesen wurde. Der Begriff cis wurde als Gegensatz von trans entwickelt, cis Menschen sind also nicht-trans. Wenn wir von cis Mann oder cis Frau sprechen, sind wir einerseits genauer in unserem Ausdruck und zeigen andererseits, dass es auch andere Männer und Frauen gibt, die trans oder inter* sind.

Endogeschlechtlich können Menschen bezeichnet werden, die nicht inter* sind, also deren Körper bei der Geburt in eine eindeutige medizinische Norm von männlichen bzw. weiblichen Körpern passen.

Binär bedeutet zwei oder zweifach und ist ein Begriff für gesellschaftliche Normen, die nur zwei Geschlechter Mann und Frau zulassen (wollen). Ein binäres System blendet aus, dass es trans, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen gibt. Das binäre Geschlechtersystem wird im Alltag immer wieder durch Normen und Regeln abgesichert. Es wird im Zweifelsfall auch gewaltvoll durchgesetzt. Beispielsweise werden intergeschlechtliche Menschen unnötigen medizinischen Eingriffen ausgesetzt, damit sie einem binären Geschlechterbild entsprechen, oder Jungen erleben Gewalt, wenn sie gerne Kleider tragen oder mit Puppen spielen wollen.

 

Erstes Fazit: Öffnen für verschiedene Identitäten kann ein Erfolgsfaktor sein
Geschlechtervielfalt ist ein wichtiger Teil unserer Welt und bekommt noch zu wenig Anerkennung. Trans, inter* und nichtbinäre Personen haben unter anderem im Arbeitsleben mit vielen Hürden zu kämpfen, von denen gar nicht so wenige recht einfach beseitigt werden können.

Ein erster, einfacher Schritt ist inklusivere Sprache zu verwenden. Auch im Unternehmen selbst kann vieles recht unkompliziert angepasst werden, damit sich alle Mitarbeiter_innen wohl fühlen, gerne zur Arbeit kommen oder sich überhaupt für Ihr Unternehmen interessieren. Das betrifft nicht nur DE&I – hier insbesondere das Erstellen eines Geschlechtervielfalt inkludierenden Code of Conduct, das Ausarbeiten von Leitfäden für Mitarbeiter_innen, die Begleitung bei internen Konflikten, Sensibilisierung durch Weiterbildungsprogramme für alle Mitarbeiter_innen usw. Es betrifft viele andere Unternehmensbereiche wie PR und Marketing in der Wirkung nach außen, HR in den Bereichen Recruiting, Onboarding, Teambuilding etc., aber auch z.B. Raummanagement.

Für eine nachhaltige Transformation eines Unternehmens, das seine unternehmerische Sozialverantwortung im Sinne der Corporate Social Responsibility (CSR) wahrnimmt, ist das Öffnen für Geschlechtervielfalt ein wichtiger Faktor.

 

Mag. Dr. Persson Perry Baumgartinger. Gründer von TransComm Das Büro für transformative Kommunikation. Angewandte Sprachwissenschaft, Trans Studies, Sozialgeschichte, Kritisches Diversity & Social Justice, Kritische Kunst- und Kulturproduktion, PR-Berater. U.a. tätig für Universität St. Gallen, Universität Salzburg, brunnenpassage, D-Arts, museum gugging und Diakonie. www.baumgartinger.net

 

TransComm Das Büro für transformative Kommunikation. Beratung, Training & Prozessbegleitung bei Entwicklung und Implementierung von diversitätssensibler, diskriminierungskritischer und geschlechtervielfältiger Unternehmenstransformation.
Let’s do it! Train your communication muscle! To transform your corporate culture. Be part of the transformation revolution!
www.transcomm.net

 

Referenzen
1 https://www.vfgh.gv.at/downloads/VfGH_Entscheidung_G_77-2018_unbestimmtes_Geschlecht_anonym.pdf
2 Verein ][diskursiv, 2008, Transpersonen am österreichischen Arbeitsmarkt. https://diskursiv.diebin.at/uploads/media/transpersonenamoearbeitsmarkt_03.pdf
3 Vgl. u.a. Baumgartinger, 2017, Trans Studies. Historische, begriffliche und aktivistische Aspekte. Zaglossus / edition assemblage.
4 https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html
5 TriQ e.V. & VIMÖ, 2020, Inter* Informationen für Ärzt_innen, Therapeut_innen & andere pflegende und medizinische Berufsgruppen. https://vimoe.at/wp-content/uploads/2021/05/InterAerzt_innen.pdf
6 Blackless et al., 2000, How sexually dimorphic are we? Review and synthesis.
7 https://www.pbs.org/independentlens/content/two-spirits_map-html/

 

[I] Verein ][diskursiv, 2008, Transpersonen am österreichischen Arbeitsmarkt. https://diskursiv.diebin.at/uploads/media/transpersonenamoearbeitsmarkt_03.pdf

[II] Vgl. u.a. Baumgartinger, 2017, Trans Studies. Historische, begriffliche und aktivistische Aspekte. Zaglossus / edition assemblage.

[III] https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/uebersetzung/_node.html

[IV] TriQ e.V. & VIMÖ, 2020, Inter* Informationen für Ärzt_innen, Therapeut_innen & andere pflegende und medizinische Berufsgruppen. https://vimoe.at/wp-content/uploads/2021/05/InterAerzt_innen.pdf

[V] Blackless et al., 2000, How sexually dimorphic are we? Review and synthesis.

[VI] https://www.pbs.org/independentlens/content/two-spirits_map-html/

 

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